Eine kleine schwarze Pappkiste, die früher einmal ein „Amrum“-Glas vor Bruch schützte, begleitet mich, seit ich mit Silber stricke: Die kleine Kiste ist gerade groß genug, dass eine Silberrolle, eine Liesel und die Metallnadel zum Stricken hereinpasst – und sie passt ihrerseits perfekt in meinen Rucksack. Dementsprechend oft war sie schon mit mir unterwegs. Seit einem Urlaub in Andalusien, wo meine Tochter und ich bei einer geführten Fahrt durch die Berge unter anderem die Früchte des Johannisbrotbaumes kennenlernten (und eine Schote mitnehmen) durften, ist meine kleine Kiste mit fünf „Karat“ geadelt. Die Samen des Johannisbrotbaums, so erzählte man mir, seien früher eine Einheit für Karat gewesen.
Der getrocknete Samen wurde wegen seines relativ konstanten Gewichts als Gewichtseinheit für Gold und Diamanten verwendet. Keine Frage, dass die Samen demzufolge in meine Kiste für den entstehenden Schmuck kommen mussten. Irgendwie hatte ich in Erinnerung, dass es fünf Samen sein mussten für ein Karat. Seit 2019 waren also fünf Samen in meiner Strickkiste.
Bis zum jüngsten Urlaub: Da waren es nur noch zwei. Nur zwei Fünftel Karat? Geht gar nicht, dachte ich. Und fand in den Tiefen meines Gewürzregals noch die getrocknete Frucht des Johannisbrotbaumes, die ich damals mitgenommen hatte. So konnte ich endlich mein ganzes „Karat“ wieder vervollständigen. Beim Suchen nach dem Ursprung der Gewichtseinheit lernte ich allerdings, dass ich mich geirrt hatte und jedes Samenkorn für ein Karat steht – ich habe also stets mit fünf „Karat“ gestrickt.
Tatsächlich wiegen die Samen – laut „Bild der Wissenschaft“ aus dem Jahr 2006 – alle um die 0,2 Gramm. Das bestätigt meine kleine Waage - die Schwankungsbreite lag zwischen 0,19 und 0,24 Gramm. Das bestätigten auch Wissenschaftler. Entscheidend für die Auswahl der Kerne, so vermuten sie, war, dass die Unterschiede sich bei diesen Kernen leicht schätzen lassen. Bei einem Test haben 70 Prozent der Probanden zwischen zwei Steinen jeweils den schwereren herausgefunden, obwohl der Gewichtsunterschied nur bei fünf Prozent lag. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass die Menschen früher lediglich eine Auswahl an Kernen mit sehr ähnlichem Gewicht als Maß einsetzten. Erst im Jahr 1907 wurde ein Karat auf 200 Milligramm standardisiert.
Auch erfuhr ich, woher der Name Karat kommt – er stammt aus dem Lateinischen. „Ceratonia siliqua“ ist der botanische Name des Johannisbrotbaumes. Schon die Griechen kannten ein kleines Gewichtsmaß namens Kerat. Bei den Römern hieß die Wiegeeinheit Siliqua – so wie der Baum mit den harten Kernen.
Übrigens: Der Johannisbrotbaum ist auch in vielen Küchen vertreten. Aus den entkernten Schoten wird Karob hergestellt, ein Pulver, das ähnlich wie Kakao verwendet werden kann. Die harten Kerne – die kleinen „Karate“ – werden, von ihrer Schale befreit, zu Johannisbrotkernmehl verarbeitet. Das hat eine starke Bindungskraft, ist glutenfrei und wird etwa zum Binden von Saucen, zum Stabilisieren von Eiscreme und zum Backen verwendet. Es zählt als Nummer E 410 zu den sogenannten Zusatzstoffen.
Aber als „Karat“ ist es mir deutlich lieber….